"Vom Mythos des Normalen " von Dr. Gabor Mate

 

 


In diesem Buch geht es darum, wie Traumata und Stress in unserer Kultur unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden beeinflussen, uns sogar krank machen. Mit vielen Fallballspielen und Lösungsansetzen zur Heilung.

 


Worum es geht

Ein solches Buch zusammen zu fassen, ist nicht einfach.Da dieses Buch über 600 Seiten hat, greife ich nur einige Aspekte kurz auf. 

Stress

Denkt man an Stress, so fallen einem vielleicht Überstunden ein oder die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber Stress kann schon viel früher in unserer Kindheit entstehen und uns krank machen. Dr. Maté erwähnt hier zum Beispiel Rassismus. Wenn ein Kind ständigem Rassismus ausgesetzt ist, wird sich das irgendwann in Form von Erkrankungen bemerkbar machen. So erkranken People of Color in den USA häufiger als Weiße an Diabetes oder Bluthochdruck, erleiden häufiger Schlaganfälle. Indigene Kanadier, die noch immer unter den Folgen des Siedler-Kolonialismus leiden, sterben durchschnittlich 15 Jahre früher als weiße Kanadier.

Patriachat

Auch Frauen erkranken häufiger als Männer. Warum? Sie sind noch immer Sexualisierung und den Folgen des Patriachats ausgesetzt. Inklusive einer patriachalen Medizin, die Frauen nicht so ernst nimmt wie Männer. Man meint zwar oft, in unserer Westlichen Welt ist es doch mit dem Patriachat nicht mehr so schlimm.  Stimmt aber nicht. Ein Beispiel: Ein Mann, der krank wird, erwartet, von seiner Partnerin gepflegt zu werden. Gleichzeitig kümmert sie sich um Haushalt, Kinder und Job. Eine Frau, die krank wird, erwartet nicht, vom Partner gepflegt zu werden. Sie wird versuchen,  so schnell wie möglich wieder alleine gesund zu werden und ihre Aufgaben zu erfüllen. Und das finden wir alle- Männer und Frauen-ganz normal. 

Der Mediziner Maté selbst hat bei Geburten früher immer einen Dammschnitt gemacht. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass eine gebärende Frau es auch ohne diesen heftigen und schmerzhaften Eingriff schafft, das Kind zur Welt zu bringen. Also prophylaktisch, ohne Indikation. Bis eine Hebamme ihn aufklärte und er sein Vorgehen änderte. 

Traumata

Auch um Traumata geht es in diesem Sachbuch, die viele Menschen in ihrer Kindheit erlitten haben und die unser Leben, die Gesundheit und die Art und Weise stark beeinflussen, wie wir uns in Beziehungen verhalten. (Hier sind vor allem Beziehungs-und Entwicklungstraumata gemeint.) Vielen Menschen wissen zunächst nicht einmal, dass sie ein Trauma erlitten haben und entdecken dies erst, wenn sie die Gründe für ihre Erkrankung oder immer wiederkehrende Probleme in Beziehungen heraus finden wollen.

Heilung

Im letzten Teil des Buches geht es um Heilung und darum, wie sich unsere Gesellschaft verändern muss, damit wir gesund bleiben. Ein revolutionärer aber völlig richtiger Ansatz. 


Fazit

Ein sehr interessantes Buch. Am Anfang hat es mich etwas erschlagen, dass Maté seine Aussagen immer mit Fallbeispielen und Belegen oder Studien von Ärztinnen und Medizinern versah. Eine unglaubliche Anzahl von Kolleginnen und Kollegen. " Dr. XY aus SZ von der Universität Sowieso bewies in einer Studie, dass " liest man häufig. Aber mit der Zeit gewöhne ich mich daran. Und es sind auch ein paar interessante Künstlerinnen dabei wie Jewel und Alanis Morrisette, von denen er berichtet.

Die Informationen sind einfach so spannend, so dass man immer weiter liest. Ungewöhnlich und sehr lobenswert finde ich Matés Offenheit. So gesteht er, dass er durch Traumatisierung in der Kindheit (er wurde von seiner jüdischen  Mutter getrennt, um den Holocaust zu überleben.) noch heute Schwierigkeiten in Beziehungen hat. Er wurde verlassen und befürchtet dies im Grunde noch immer, selbst wenn seine Frau nicht wie vereinbart am Flughafen auftaucht, um ihn abzuholen und ihm nur kurz eine Whatsapp schreibt. Kein Drama eigentlich. Aber für ihn schon. 

Maté schreibt im Teil über Heilung auch über die Verwendung des halluzinogenen Tranks Ayahuasca im Schamanismus als eine Möglichkeit. Das ist für einen Mediziner schon ungewöhnlich, diese streiten in der Regel ab, dass irgendwas außer einer medizinischen Therapie hilft, selbst wenn sie mit ihrem Latein am Ende sind. 

Sehr empfehlenswert und beeindruckend.

Über den Autor: Gabor Maté ist Jude und wuchs in Ungarn auf, wo er nur knapp dem Holocaust entkam. Er wanderte später nach Kanada aus und studierte Medizin. Nach einer erfolgreichen Laufbahn als Arzt fing er an, Bücher zu schreiben, ist verheiratet und hat drei inzwischen erwachsene Kinder. Er hat bereits mehrere Bestseller geschrieben. 

  • Titel: "Vom Mythos des Normalen" 
  • Autoren: Dr. Gabor und Daniel Maté
  • Übersetzerinnen: Annegret Hunke-Wormser und Elisabeth Möller-Giesen
  • Herausgeber ‏ : ‎ Kösel Verlag
  • Broschiert ‏ : ‎622  Seiten

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